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Die am Montag veröffentlichte Studie „Jugendliche in der offenen Jugendarbeit“ von Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs hat in den letzten Tagen für großes Aufsehen gesorgt.

Dass die Veröffentlichung der Studie zu enormer (vor allem medialer) Aufregung führen wird war klar. Dass die Jeannées dieser Welt damit den perfekten Aufhänger für den nächsten hetzerischen Brüller gefunden haben, lag auf der Hand.

Wer jedoch mehr möchte, als eine reißerische Schlagzeile, sollte sich mit den gesamten 177 Seiten der Studie auseinandersetzen. Denn wer nur nach der nächstbesten Schlagzeile giert, hat nicht erkannt, wie ernst das Thema und wie notwendig die tiefergehende Auseinandersetzung damit wirklich ist – vor allem um daraus die richtigen Schritte und Maßnahmen abzuleiten.Vorweg möchte ich eine Sache festhalten: Mir geht es auf keinen Fall darum irgendwelche Dinge schön zu reden, zu beschwichtigen oder gar gewisse Ergebnissezu rechtfertigen. Auch mich haben manche in der Studie präsentierten Zahlen sehr schockiert. Einstellungen wie Homophobie, Antisemitismus oder Rassismus haben in unserer Gesellschaft, egal von welcher Seite sie kommen, keinen Platz und das ist von allen Menschen, die Teil dieser Gesellschaft sind zu akzeptieren und zu respektieren. Die Verherrlichung von Gewalt oder Religion über unsere Gesetze zu stellen ist schlicht unvereinbar mit unseren demokratischen Grundprinzipien.

Was jedoch im Zentrum der Auseinandersetzung stehen muss, ist der Umgang mit den Ergebnissen. Wir dürfen nicht beim schockiert Sein aufhören, sondern müssen eine umfassende Strategie entwickeln, wie wir mit und für die jungen Menschen arbeiten können, von denen in der Studie die Rede ist und nicht gegen sie.

Um wen geht es denn überhaupt konkret? Es geht bei der Studie um 401 junge Menschen, die sich in der offenen Jugendarbeit (OJA) befinden. Es sind vor allem Jugendliche aus einem sozioökonomisch schwächeren Milieu mit niedrigerem Bildungsgrad. Fast 90% der Befragten sind im Alter zwischen 14 und 17 Jahre, 85% haben eine Migrationsgeschichte (selbst zugewandert oder in zweiter Generation). 53% geben an muslimisch zu sein, 22% katholisch und 14% christlich orthodox.

Zwei Dinge sind unbedingt festzuhalten: Diese sozio-demographische Struktur der Jugendlichen entspricht nicht jener der jugendlichen Gesamtheit in Wien. Die OJA wird nicht von allen Jugendlichen gleichermaßen aufgesucht, sondern vor allem von Kindern sozial schwächerer Familien. Zweitens: Die Ergebnisse stehen nicht im direkten Zusammenhang mit den verstärkten Fluchtbewegungen der letzten zwei Jahre. Einerseits haben wir einen Studienzeitraum von November 2014 bis Februar 2015 vorliegen und andererseits befinden sich die befragten Jugendlichen in der OJA seit durchschnittlich neun Jahren in Österreich.

Warum wurde diese Studie überhaupt erstellt? Es waren die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter selbst, die vor einiger Zeit darauf hingewiesen haben, dass sich bei den jungen Menschen in der OJA etwas verändert hat. Abgrenzungsäußerungen und Abwertungen würden zunehmend stärker und das in Verbindung mit steigender überbetonter Religiosität. Diese Eindrücke wurden an die Leitungsgremien der OJA und die Stadt Wien weitergetragen. Die Beauftragung der Studie beweist, dass jene Vorwürfe, die sowohl medial, als auch von politischen Mitbewerbern stets erhoben werden eben nicht stimmen. Die Stadt Wien sieht weder weg, noch versucht sie irgendetwas zu vertuschen oder schön zu reden. Im Gegenteil – Wir schauen ganz genau hin. Es ist uns ein Anliegen fundiertes Wissen über Entwicklungen in unserer Gesellschaft zu generieren, anhand dessen wir Strategien entwickeln und die richtigen Maßnahmen setzen können. Das und nur das ist verantwortungsvolle und professionelle Politik.

Schon an dieser Stelle wird deutlich, welche wesentliche Aufgabe die OJA in unserer Stadt übernimmt – die polarisierenden und abwertenden Einstellungen mancher Jugendlicher wurde identifiziert, lange bevor die Radikalisierungsthematik so breit diskutiert wurde. Dies zeigt, wie nahe die Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter an den jungen Menschen dran sind und wie viel Einblick ihnen die Jugendlichen in ihre Gedankenwelt gewähren.

Ein kurzer Blick auf die Ergebnisse: Von den 401 Befragten, haben Jugendliche mit muslimischem Hintergrund eine stärker abwertende Einstellung, als andere Jugendliche. Vor allem im Bereich der Homophobie, des Antisemitismus und der Ethnokultur sind Abwertungen besonders häufig. Weiters zeigt sich, dass Jugendliche mit besonders abwertenden Einstellungen auch zunehmend radikalisierungsgefährdet sind. Die Studienautoren zählen 27% der befragten muslimischen Jugendlichen zur Gruppe der latent Gefährdeten. Diese zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie gewaltbejahend ist und die Meinung vertritt, dass der Islam vom Westen unterdrückt wird.

Die Studie versucht auch aufzuzeigen, was es für Gründe für die unterschiedliche Radikalisierungsgefährdung bei muslimischen Jugendlichen gibt. Ein deutlicher Unterschied wir anhand des Geschlechts identifiziert – nur 3% der Musliminnen wird zur Gruppe der latent gefährdeten gezählt.

Ein wesentliches Ergebnis der Studie ist auch, dass muslimische Jugendliche, die einen heterogenen Freundeskreis haben, weit weniger abwertend und radikalisierungsgefährdet sind, als jene, mit homogenem Freundeskreis.

Ein wichtiger Teil der Untersuchung bestand auch in der Frage, welchen Einfluss selbst erlebte Diskriminierung (aufgrund von Religion, Hautfarbe, etc.) auf abwertende Einstellungen und Radikalisierungsgefährdung haben. Dabei wird sichtbar, dass hier weniger persönliche Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen eine Rolle spielen, sondern vielmehr gefühlte kollektive Diskriminierung – etwa eine generelle negative Einstellung gegenüber dem Islam.

Welche Schlüsse müssen wir daraus ziehen? Nun, in meinen Augen ist es einmal wesentlich festzuhalten, dass die Jugendlichen von denen hier die Rede ist, nicht in erster Linie gefährlich, sondern gefährdet sind. Wir sprechen von jungen Menschen im Alter von 14 bis 17 Jahren, die in einer Phase ihres Lebens stecken, in der Unsicherheit und Orientierungslosigkeit oft dazugehören. In diesem speziellen Fall kommen noch die Frage der Zugehörigkeit und die Tatsache hinzu, dass sich viele der befragten jungen Menschen nicht als ÖsterreicherInnen angenommen fühlt.

Ich betone noch einmal, dass es hier nicht um eine Entschuldigung oder Rechtfertigung für extreme Einstellungen geht, aber wichtiger als die Verurteilung, ist die Frage der Lösungsansätze. Es kann keine Lösung sein, diesen Menschen mit Ausgrenzung und Isolierung zu begegnen, denn dadurch treiben wir sie in die Hände jener Personen, die es sich zum Ziel gesetzt haben, radikales Gedankengut in unserer Gesellschaft zu verbreiten. Genau davor müssen wir unsere Jugendlichen schützen. Wer jetzt wieder vermeintlich einfache Lösungen à la FPÖ oder ÖVP, wie Ausländerklassen oder Verschleierungsverbot propagiert, ist auf dem absoluten Holzweg. Unsere oberste Priorität muss es sein, eine Durchmischung der Gesellschaft auf allen Ebenen zu forcieren. Dort wo es einen direkten Kontakt zwischen Menschen gibt, können Vorurteile und Abwertungen abgebaut werden. Sehr spezifisch zeigt sich das etwa am Beispiel der Homophobie. Sobald befragte muslimische Jugendliche angeben, dass auch homosexuelle Personen zu ihrem Freundeskreis zählen, wird Homophobie verurteilt.

Neben einer inklusiven Gesellschaft, braucht es einen breiten Diskurs, in denen alle Personen und Institutionen, die für Jugendliche relevant sind, eingebunden werden. Der Thematisierung von Rassismus, Antisemitismus, Homophobie oder die Gleichstellung von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft muss auf allen Ebenen viel Platz eingeräumt werden.

Was die Studie von Kenan Güngör und Caroline Nik Nafs hier auch bestätigt, ist die zentrale Rolle der Jugendarbeit in diesem Bereich. Vor allem muslimische Jugendliche geben an, dass Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeiter einen starken bis sehr starken Einfluss auf sie haben (viel mehr als etwa Lehrerinnen und Lehrer) und dass sie das Gefühl haben, dass ihnen die Jugendeinrichtungen dabei helfen, nicht auf die schiefe Bahn zu geraten. Die Jugendlichen fühlen sich von den Jugendarbeiterinnen und Jugendarbeitern verstanden und stellen der Jugendarbeit allgemein ein sehr positives Zeugnis aus.

Natürlich ist die Jugendarbeit nur ein kleiner Teil, der das Leben von Jugendlichen prägt. Ganz essentiell wird auch eine viel stärkere Einbindung der Eltern sein. Denn vor allem bei muslimischen Jugendlichen wird in der Studie sichtbar, dass die Vorbildwirkung der Eltern sich ganz wesentlich auf die Einstellungen der Jugendlichen auswirkt, etwa was die Rolle von Mann und Frau in der Familie betrifft.

Ein zentraler Baustein bei der Einbindung aller Ebenen und Institutionen ist das bereits im Jahr 2014 ins Leben gerufene Wiener Netzwerk für Deradikalisierung und Prävention. Im Fokus stehen hier auch die Weiterbildung und Sensibilisierung von Lehrkräften, Sozial- und Jugendarbeiterinnen im Bereich Radikalisierungstendenzen und präventivem Umgang mit eben diesen.

Schlussendlich möchte ich hier einer Sache noch einmal Nachdruck verleihen: Wer glaubt aus dieser Studie politisches Kleingeld schlagen zu müssen, sich auf Pauschalverurteilungen beschränkt, die Verbreitung von Hass und Hetze weiter befeuert und die Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen so weiter forciert, treibt junge Menschen den Radikalen in die Hände.

Wir müssen die Ergebnisse der Studie unglaublich ernst nehmen und diese auf keinen Fall verharmlosen. Wir stehen hier vor großen und komplexen Herausforderungen für die es keine einfachen Antworten gibt. Da unterscheidet sich unser Zugang zu Problemlösungen eben mit jenem der Rechtspopulisten.

Tatsache ist jedenfalls, dass es eine Lösung nur gemeinsam mit den jungen Musliminnen und Muslimen geben kann und nicht gegen sie und dass eine wichtige Herangehensweise nur mehr Demokratie, mehr Offenheit und mehr Inklusion bedeuten kann.

Wer sich mit dem Thema wirklich ernsthaft auseinandersetzen will, dem empfehle ich einen Blick auf die gesamte Studie zu werfen. Den Link dazu findet ihr hier: https://www.wien.gv.at/freizeit/bildungjugend/jugend/